Der Bundesgerichtshof hat am 29.04.2015 eine Grundsatzentscheidung zu der Frage getroffen, unter welchen Voraussetzungen der Mieter einer Wohnung wegen sog. Umweltmängel – hier Lärmbelästigungen von einem Nachbargrundstück - die Miete mindern darf und wie dabei Kinderlärm zu berücksichtigen ist.
Die Beklagten mieteten vor vielen Jahren von den Klägern in Hamburg eine Erdgeschosswohnung nebst Terrasse. Das Wohngrundstück grenzt an eine Schule, auf deren Gelände im Jahr 2010 – zwanzig Meter von der Terrasse der Beklagten entfernt - ein Bolzplatz errichtet wurde. Der Bolzplatz soll nach der vom Schulträger angebrachten Beschilderung Kindern im Alter bis zu 12 Jahren von Montag bis Freitag bis 18:00 Uhr zur Benutzung offenstehen. Ab Sommer 2010 rügten die Beklagten gegenüber den Klägern Lärmbelästigungen durch Jugendliche, die auch außerhalb der genannten Zeiten auf dem Bolzplatz spielten, und minderten deshalb seit Oktober 2010 die Miete um 20 %. Die Kläger halten die Mietminderung für unberechtigt und begehren mit ihrer Klage Zahlung der restlichen Miete sowie die Feststellung, dass die Beklagten nicht berechtigt seien, wegen des Lärms die Miete zu mindern. Die hierauf gerichtete Klage ist vor dem Amts- und dem Landgericht ohne Erfolg geblieben.
Die vom Landgericht zugelassene Revision, mit der die Kläger ihr Zahlungs- und Feststellungsbegehren weiter verfolgen, hatte Erfolg.
Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass nachteilige Einwirkungen auf die Mietsache von außen– sogenannte "Umweltmängel" – zwar Gegenstand einer Vereinbarung über die Beschaffenheit der Mietwohnung sein können, so dass im Laufe der Zeit eintretende nachteilige Änderungen wegen eines Zurückbleibens der vereinbarten hinter der tatsächlich bestehenden Beschaffenheit zu einem Mangel der Mietsache (§ 536 Abs. 1 BGB) führen können. Allerdings kann – entgegen einer verbreiteten Praxis - bei Fehlen ausdrücklicher Vereinbarungen nicht ohne konkrete Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, die Mietvertragsparteien hätten gleichwohl den bei Vertragsschluss vorgefundenen Wohnstandard zumindest stillschweigend dahin festlegen wollen, dass dieser Zustand sich in Bezug auf Umwelteinflüsse über die Dauer des Mietverhältnisses hinweg nicht nachteilig verändern darf und der Vermieter seinen Fortbestand jedenfalls im Wesentlichen zu garantieren hat. Solche konkreten Anhaltspunkte waren den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hier nicht zu entnehmen.
Bei Fehlen einer derartigen Vereinbarung im Mietvertrag ist die Frage, ob und in welchem Umfang der Mieter ein nachträglich verändertes Maß an Geräuschimmissionen hinzunehmen hat, ohne sich auf einen Mangel der Mietwohnung berufen zu können, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung unter Rückgriff auf die Verkehrsanschauung zu beantworten. Entgegen einer vielfach vertretenen Auffassung hat ein Vermieter dabei aber im Rahmen seiner nach § 535 Abs. 1 BGB bestehenden Pflicht, die Wohnung in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu erhalten, nicht dafür einzustehen, dass sich ein bei Vertragsschluss hingenommenes Maß an Geräuschen vom Nachbargrundstück nicht nachträglich vergrößert, wenn er diese Geräusche selbst gegenüber dem Nachbarn gemäß § 906 Abs. 1 BGB (entschädigungslos) zu dulden hätte. Denn Unmögliches hätte der Mieter, wenn die Vertragsparteien das Ansteigen der Geräuschkulisse bei Vertragsschluss bedacht hätten, vom Vermieter redlicherweise nicht beanspruchen können. Er hätte vielmehr nur verlangen können, dass der Vermieter einen von ihm nicht mehr zu duldenden Geräuschanstieg gegenüber dem Dritten abwehrt oder ihm eine Minderung zubilligt, wenn auch er selbst von dem Dritten für eine wesentliche, aber als ortüblich zu duldende Störung einen Ausgleich (vgl. § 906 Abs. 2 BGB) verlangen kann.
Vor diesem Hintergrund ist der Bundesgerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass in den hier neu aufgetretenen Lärmbelästigungen jedenfalls dann kein Mangel der Mietsache gesehen werden kann, wenn auch der Vermieter selbst die Belästigungen ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeiten - etwa mit Rücksicht auf das bei Kinderlärm bestehende Toleranzgebot des § 22 Abs. 1a BImSchG - als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen müsste. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kommt es nicht darauf an, das § 22 Abs. 1 a BImSchG erst im Jahr 2011 und damit lange nach dem Abschluss des Mietvertrages in Kraft getreten ist. Denn diese Privilegierungsregelung ist nach dem Willen des Gesetzgebers darauf angelegt, über seinen eigentlichen Anwendungsbereich und das damit vielfach verklammerte zivilrechtliche Nachbarrecht hinaus auch auf das sonstige Zivilrecht, insbesondere das Mietrecht und das Wohnungseigentumsrecht auszustrahlen, sofern dieses jeweils für die Bewertung von Kinderlärm relevant ist.
Da hierzu die erforderlichen Feststellungen – insbesondere die Frage, ob die von den Beklagten geltend gemachten Lärmbelästigungen von Kindern oder von (nicht unter die Privilegierung des § 22 Abs. 1a BImSchG fallenden) Jugendlichen oder jungen Erwachsenen verursacht werden – bisher nicht getroffen sind, war das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen.
Urteil vom 29. April 2015 – VIII ZR 197/14
Vorinstanzen:
AG Hamburg-Harburg - Urteil vom 16. Dezember 2013 - 644 C 148/13
LG Hamburg - Urteil vom 26. Juni 2014 – 307 S 11/14
Karlsruhe, den 29. April 2015
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs